Freitag, 27. März 2009

XXALPS 2004 -6-

Donnerstag, den 26. August
Eine Stunde Schlaf - zu wenig. Der heranpeitschende Regen klatscht mir ins Gesicht und lässt mich aufwachen. Wir verlegen unseren Schlafplatz um 2 Meter nach hinten und erst als das Wohnmobil herandieselt wache ich nach weiteren 45 min erneut auf. Scheiße. Es gießt weiterhin in Strömen und 2 mal hintereinander wurde die Schlafpause durch äußere Einflüsse unterbrochen. Mal sehen wie sich das auswirkt. Lustlosigkeit ist ein harmloses Wort dafür, welche Gefühle gerade in mir die Oberhand haben.


Die gesamte Crew ist jetzt versammelt und mit Geschäftigkeit die Situation zu beschreiben mich so wasserdicht und komfortabel zu verpacken wäre wohl reichlich untertrieben. So fahre ich denn mit allerlei Reflexmaterial um den Leib und die Extremitäten gewickelt in die kalte, regnerische und stürmische Nacht hinein dem Saanemöser entgegen. Die Abfahrten sind in dem herunterprasselnden Regen auch eine ziemlich riskante Angelegenheit. Die Felgen können bei dem geradezu auf der Strasse stehenden Wasser nicht mehr trocken gebremst werden. Ein Glück, dass Robert mir super Bremsbeläge eingebaut hat. Das Rad ist ganz gut noch zu beherrschen !! Ein klein wenig Hoffnung in der trostlosen Situation. Momentan, bei der Auffahrt zum Col du Pillon hat man das Gefühl durch eine gigantische Dusche zu fahren. Es schüttet derart, dass man sogar durch die Brille brauchbar durchsieht - die sich ansammelnden Tropfen haben nicht den Hauch einer Chance gegen die immer neuen Artgenossen, welche den bereits sich auf dem Glas Befindlichen den Platz streitig machen und zusammen herunterfließen. Oben angekommen bin ich klatschnaß. Selbst die Goretex Handschuhe können nicht dicht gehalten haben, eher wahrscheinlich ist jedoch die Tatsache, dass wir nach meiner Pinkelpause, bei der wir die geradezu kunstvoll abgeklebten Übergänge von der Regenjacke zu den Bündchen der Handschuhe nicht mehr ganz dicht gekriegt haben - war ja alles nass !

Die Folgen der zweimaligen Weckaktion in Zweisimmen sind immer präsenter geworden in den letzten Minuten. Koordinationsproblem zwischen den normal instinktiv ablaufenden Reaktionen - Steuern treten, atmen zwingen das Zweirad auf einen wilden Zick Zack Kurs. Eine “ gewaltvoll” abgerochene Schlafpause verliert ob ihrer schieren Kürze den sogenannten “lohnenden Wert”. Oder anders ausgedrückt. Die Pause in Zweisimmen war wertlos. Welch eine Katastrophe. Da haben wir gut und gerne 2 bis 3 Stunden in den Sand, oder besser den Regen gesetzt. ...Während die Konkurrenten scheinbar unbeeindruckt durch die Fluten pflügen und unser Rückstand wächst... Die Realität sieht jedoch auch weiter vorne im Feld ein klein wenig anders aus - außer dem in Führung liegenden Clavi müssen in der Folge noch alle anderen dieser Horrornacht im eiskalten Regen Ihren Zeit-Tribut zollen.

Mittlerweile verlassen mich die letzten Kräfte komplett, physisch - ich bekomm die Kurbel kaum noch rum - der Col de la Croix ist ja nicht besonders steil, und auch psychisch - einen Sinn scheint mir die Fahrerei gerade eben nicht mehr viel zu haben. Peng ! Jetzt ist es passiert. In einer Phase von Sekundenschlaf, welche wohl aber etwas länger als nur ein paar Zehntelsekunden war - eher wohl wirklich eine oder mehrerere Sekunden lang, verliere ich im Stillstand die Balance und kippe um. Auf dem Boden wache ich auf. Keine Frage, jetzt ist aber eine Schlafpause nötig. Ein Glück dass das Wohnmobil jetzt da ist. Raus aus den nassen Sachen und rein ins Bett. Eine lohnende Schlafpause tut not. Sie wird mir auch beschert ! Knapp eineinhalb Stunden später erwache ich. Zwar ein bisschen zermatscht, dennoch wieder sich meiner Aufgabe bewusst esse ich allerlei Nutella und Erdnussbutter und auch sonstige Leckereien zum Frühstück. Die Appelle meiner Crew doch irgendwie weiterzufahren - sie sind nutzlos. Ich will ja selbst wieder ! Vergangene Nacht haben mich diese Appelle nicht so richtig erreicht - erkannte ich ja auch ihren Nutzen nicht so recht - wir waren ja weitgehend in Bewegung, nur eben ohne den rechten Drive - der wurde von der totalen, lokalen Müdigkeit der Wahrnehmung entzogen.

Total wasserdicht verpacke meistere ich die letzten 10 min des Anstieges zum Col de la Croix problemlos und rhythmisch. Das Rennen hat mich wieder. Ohne anzuhalten brausen wir gleich wieder bergab. Hinten im Pacecar geht noch ein bisschen die Furcht um. In meinem gestrigen Zustand, psychisch, wäre die Abfahrt eine viel zu riskante Angelegenheit geworden. In schönen weiten Schwüngen pflüge ich durch das oftmals zentimeterhoch stehende Regenwasser rhythmisch nach unten ins Rhonetal. Das zügige und kontrolliert schnell ausgeführte Abfahrt macht echt Laune - vorne bei mir auf dem Rad und auch im Pacecar kommt wieder so etwas wie Freude auf. Im Tal angelangt hört es sogar auf zu regnen. In Bex legen wir einen Tankstopp ein - Sabine massiert meine Schultergegend - total verspannt nach dem anstrengenden und stetig bremsbereiten Fahren der letzten Stunde.

Ohne die Regenhose geht es mit jetzt ordentlich Speed bei etwas Rückenwind Martigny entgegen. Der Wettergott hat jedoch noch immer eine “Strafe” für uns in petto und duscht uns. Die Latschen ( Radschuhe ) sind halt jetzt auch wieder nass - das Wasser ist von oben in die Überschuhe hineingelaufen. Der sich bildende, in allen Spektralfarben schillernde Regenbogen, ein großes 46 Grad Exemplar, entschädigt die Sinne und nimmt der unangenehmen Nässe der Kleider auf der Haut viel von ihrem Schrecken.
Ein Mopedfahrer kommt gerade recht. Ich hole in ein und lasse ihm keine Chance. Das hat gerade gepasst um mir den nötigen positiven Kick zu geben vor der Auffahrt auf den Col de la Forclaz.

Unter ständiger Anfeuerung durch Sabine, Tina und Hubertus fahre ich sehr schnell hinauf. Das Drama von letzter Nacht ist total vergessen. Auch der Col de Montets ist nicht der Berg, welcher unseren Vorwärtsdrang auch nur im Geringsten bremsen könnte. Oben , wir sind ja jetzt in Frankreich gibt es frische Croissants. Noch dazu werde ich durch ein paar Sonnenstrahlen, welche sich durch die Wolken bohren zusätzlich belohnt.


Freude ist gelinde gesagt eine Untertreibung für das was ich jetzt empfinde. Auch der wieder einsetzende Regen hat da keinen Einfluss drauf. Gerne erinnere ich mich an die Stunden zurück welche wir vor vielen Jahren dort oben am Col de Montets über Argentiere beim Bouldern an den herrlichen Granitblöcken verbracht haben. Auch hat man da einen unglaublichen Blick auf den Monarchen ( den Mont Blanc, Zentraleuropas höchstem Berg ) und seine Nadeln, genannt die Aiguielles. Da muss ja jeden Bergsteigers Herz ein paar Takte schneller schlagen. Gleichwohl momentan von der Berglerpracht schon auch gleich rein gar nichts zu sehen ist, hängen doch die tief schwarzen Wolken fast auf dem Talboden unten herum.
Der Verkehr rund um Chamonix ist mal wieder “touristisch”. Es nervt zwar saumäßig doch , denkt man mal scharf nach, so ist doch die Fahrt auf dem Standstreifen der mehrspurigen Schnellstraße hinab oder eigentlich fast treffender hinum nach Cluses gar nicht sooo.. übel. Das Pacecar schütz von hinten und es gibt ja genügend Platz. Unter einer Radleridylle versteht man obschon was Anderes.





Die genießen wir dann aber auch gleich “Kübelweise” bei der Auffahrt durch die wunderschönen an das Allgäu, oder eher noch an die Vogesen erinnernden Almmatten zum Col de la Colombiere. Als ob wir das vorher versäumte, oder besser vermisste nachholen müssten. Landschaftlich ein Volltreffer. Hier fällt es dann nicht schwer verborgene Kräfte zu mobilisieren.
Das uns beim Klettern begleitende Getröpfel hört bei der Abfahrt auf. Klasse !


Col de Aravais und nach dem Crewwechsel im Tal der Col de Saisies sind nette, teils auch stramme Hügel, die sich in der Euphorie der wiedergewonnenen Energie und Kraft zu keinen Hindernissen auswachsen. Wir fahren halt darüber und freuen uns nur jetzt und heute hier zu sein. Im Tal legt sich die Nacht erneut über die Alpen, die fünfte nun. Auch in dieser wird das “Bett kalt bleiben”. Auch diesmal werden wir nur ein eher kurzes Nickerchen halten dürfen. Haben wir doch am Vortag massig Zeit vergeigt. Die Rückstände zu den vor mir liegenden Clavadetscher, Knauss, Wyss und Zeller zeigen jedoch - sie nehmen ab - dass alle Fahrer hier nur mit Wasser kochen. Früher oder später kippt eben bei solch einer extremen Wettersituation jeder “aus den Latschen”.


Der Cormet de Roselend, wir bezeichnen ihn nur kurz als Ross Elend, ist ein von der Tour de France bekannter, berüchtigter Brocken, welcher als Betthupferl dienen soll. Ein Riesen Hupferl aber ..Eine Schlafpause wollen wir nicht vor Bourg St. Maurice machen. Ich muss unbedingt einigermaßen frisch an den Iseran herangehen. Die Pause ist nach einer Horrorabfahrt vom “Ross Elend” auch bitter nötig. Es ist aber nur ein Power Nap. Nach 10 Minuten fühle ich mich einigermaßen frisch, so dass wir zum Sturm auf den zweithöchsten Pass der Alpen blasen. Idealerweise wollen wir ,aufgrund der Tatsache, dass es mir einigernassen gut geht, die eigentlichen Schlafpause von ca. 1,5 Stunden erst in Val d’ Isere machen - damit könnten wir den Aufstieg halbieren - es sind ja über 2.000 Höhenmeter am Stück.

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